Was braucht Kleve: Ein Einkaufszentrum oder einen Kulturpalast?

Posted by: on Jul 19, 2012 | Keine Kommentare

KLEVE. Das untenstehende Schreiben zur Minoritenplatz-Bebauung habe ich heute an alle Stadtverordnete im Rat sowie dem Bürgermeister per Post zukommen lassen. Ich möchte es auch Ihnen zukommen lassen, da es, meiner Meinung nach, alle hier in Kleve betrifft. Die jetzt schon stattfindende Diskussion möchte ich hiermit unterstützen.


Sehr geehrter Herr Bürgermeister Brauer, sehr geehrte Stadtverordnete im Rat der Stadt Kleve, ich möchte mich hiermit bemühen, um mit dazu beitragen, die aus der Hand zu laufen drohende Diskussion zur Unterstadtbebauung zu einen Dialog zu führen, sowie ein Ergebnis anzustreben, das Alle mitzutragen bereit sind.

Was braucht Kleve: Ein Einkaufszentrum oder einen Kulturpalast?
Diese Gegenüberstellung soll neugierig machen und die folgenden Worte, trotz Überlänge und weitausgeholten Vergleichen, erträglicher gestalten.

In der Tat, was braucht Kleve?
Jeder der hier wohnt, lebt und/oder diese Stadt regelmässig besucht, ist geneigt, schnell eine Antwort zu geben. Es fehlt an diesem und es fehlt an jenem, aber ich glaube, es fehlt vor allem an der Bereitschaft, sich auf etwas einzulassen, was neu und unbekannt ist: Die Zukunft. Alle Herausforderungen, die auf uns warten, sind schwierig und werden uns fordern. Im Grunde müssen wir jedes Detail unseres täglichen Leben überdenken und mit an Wahrscheinlichkeit grenzender Sicherheit ändern.

Zurück zum Fehlenden hier in Kleve. Das alte oder auch neue Rathaus wird ein wie auch immer geartetes Gegenüber finden. Zur Zeit sieht sich das Rathaus, ein meist repräsentatives Gebäude, einem Parklatz gegenüber. Der Gemeinde- oder Stadtrat sieht sich Spuren von Menschen gegenüber. Diese kommen und gehen (fahren), aber sie tun eines im Besonderen nicht… bleiben. Erst wo Menschen bleiben, entsteht urbanes Leben. Der Minoritenplatz ist eine Verweilzone für Autos. Sollte, was ich nicht hoffe, an dieser Stelle ein Kaufhaus entstehen, würde diese Auto-Verweilzone durch eine Zone ersetzt, in der sich Dauersnacker und laufende Kleiderständer darum bemühen, Dinge zu kaufen, die sie nicht brauchen. Letztlich einem Konsum huldigen, der von wirklich allen für unseren nicht nachhaltigen Umgang mit den zu Verfügung stehenden Ressourcen, verantwortlich zu machen ist. „Iets nieuws kopen heeft niets meer te maken met de vervulling van basisbehoeften, maar voelt wel als een basisbehoefte. Dat patroon moeten we zien te doorbreken en dat zal niet vanzelf gaan.“ sagt Prof. Tim Jackson (De Volkskrant 14. Juli 2012).

Flanieren durch Einkaufszentren
Es ist hinlänglich bekannt, dass sich derartige Einkaufszentren überlebt haben, Beispiele wie in Aachen mit der Kaiserplatz-Galerie oder den größten Megastore der Niederlande in Den Haag zeigen dies exemplarisch. Das oft angeführte „Flanieren“ ist weder Kauf noch Preisvergleich, sondern das Eintauchen in ein soziales Gefüge. Sich zeigen, beobachten, Gespräche, genussvolles Essen und Trinken. Genau dies fehlt in Kleve! Diesen Ort kann man nicht kaufen, dieser muss wachsen. Die Ingredienzien für dieses wünschenswert nötige soziale Wachstum können wir aber sofort auf den Weg bringen, hier und heute. Gerade die Politik hat dazu die besten Möglichkeiten in der Hand.

Bedarf gegenüber Leerstand
Aus dem CIMA-Gutachten von 2007 geht hervor, dass ein gewisser Bedarf an Einzelhandelsfläche besteht. Nach meiner, schnellen und oberflächlichen, erstellten Übersicht sind zur Zeit gut 16.000 m2 Leerstand in Kleve zu verzeichnen (Eine exakte Bestandsaufnahme sollten wir erarbeiten). Bitte stellen Sie diesen Leerstand dem CIMA-Gutachten gegenüber.

Das Bestmögliche tun
Ich bin auch der Meinung, dass der Minoritenplatz bebaut werden sollte. Aber es sollte die bestmögliche Architektur und die bestmögliche Nutzung sein. Die Nutzung dieses innerstädtischen Herzstückes sollte multifunktional sein. Alleine dieser Umstand lässt es nicht zu, dass ein Investor die Architektur vorgibt. Eine solche Vorgehensweise ist immer zu kurz gedacht, auch sollte es 10 Jahre mit einem wie auch immer geplanten Besatz funktionieren, würde dann nur noch eine Gebäudehülle übrig bleiben. Gegenüber dem Rathaus sollte eine Architektur entstehen, die dem Engagement der Bürgerschaft huldigt. Handwerker, Kaufleute, Einzelhändler, Historiker und Archivare, Erzieher und Pädagogen sowie Journalisten sollten sich hier wiederfinden. Ein Ankermieter, ja warum denn nicht, aber die Vielfalt sollte sich gerade durch die Architektur zeigen und sogar aufdrängen. Und nicht umgekehrt.

Kompetenzen und Motivation sind für ein Gelingen dieses Bauvorhabens von entscheidender Wichtigkeit. Ich meine damit ausdrücklich das Einbeziehen von Ressourcen hier aus Kleve.

Rechner und/oder Bleistift
Das jetzige Entwurfsmodell wird durch ein CAD-Programm dargestellt. Um eine Architektur darzustellen, braucht es nur ein Katasterauszug und den gewünscht umbauten Raum. Diese Architekten, die nicht aus Kleve kommen, haben sich voraussichtlich nicht (dauert Zeit) mittels Nachzeichnen an diesen Ort herangetastet, sondern kilometerweit entfernt ein Solitär geschaffen. Beim richtigen Zeichnen entstehen Skizzen von vielen Möglichkeiten. Der berühmte Architekt Renzo Piano, er hat unter anderem den Potsdamer Platz und das dortige debis-Haus geplant, beschreibt seine Arbeitsweise folgendermaßen: „Man beginnt mit Skizzen, man fertigt Zeichnungen an, man baut ein Modell, dann geht man zurück in die Wirklichkeit, auf das Baugelände, und dann geht man zurück zum Arbeitstisch. Man schafft gewissermaßen einen Kreislauf zwischen Zeichnung und machen, hin und zurück“. Dieses Wachsen, diese Entwicklung braucht naturgemäß auf der einen Seite Zeit und auf der anderen Menschen, die Kleve kennen oder kennenlernen wollen, und sich natürlich für Architektur interessieren und einsetzen.

Noch ein Satz zur CAD-Darstellung. Meist wird CAD benutzt, um Probleme zu verdecken und nicht aufzudecken. Beispielsweise die Ansicht von der Tiergartenstrasse kommend wäre nur ein Mausklick, aber das Ergebnis verbietet diese Ansicht. Die Größe dieses Bauvorhabens wäre, an diesem Herzstück Kleves, ein immerwährender Fremdkörper. Die Formensprache gleicht einem Soldaten-Fort. Bei unbefugtem Betreten wird, ohne Vorwarnung, geschossen. Mit Verlaub, wir sind nicht mehr im Krieg, sondern sollten unseren Besuchern, und nicht zuletzt den Klevern selbst, eine friedliebende Architektur zubilligen. Als Bildhauer erlauben Sie mir bitte ein Wort zur Materialwahl: Gelinde gesagt sollte ich den Begriff „kostenarm“ nennen, aber um das Wort „billigst“ komme ich nicht herum. Gerade CAD ist nicht in der Lage, die haptische Wahrnehmung zu ermöglichen.

Auch die planerische Überdeterminierung ist ein Problem. Die Planer verweisen auf die gemischte Nutzung des Gebäudes und diese Mischung ist auf den letzten Quadratmeter berechnet. Eine solche Planung verhindert jede ungeregelte Anordnung von Räumlichkeiten, die es neuen Unternehmen erlauben, zu wachsen und vibrierendes Leben zu entfalten. Derartige Regellosigkeit führt letztlich zu einem geselligen Strassenleben. Dieser Lebendigkeit Spielraum zu lassen ist überaus wichtig.

Centre Pompidou in Kleve
Der oben zitierte Architekt Renzo Piano hat auch das Centre Pompidou in Paris gebaut. Dieses staatliche Kunst- und Kulturzentrum soll allen Bewohnern und Fremden aller Gesellschaftsschichten freien Zugang zu Wissen garantieren. Es beherbergt eine Bibliothek mit Leseplätzen, das Musikforschungszentrum, eine Kinderwerkstatt, Kino-, Theater- und Vortragssäle, eine Buchhandlung sowie ein Restaurant und ein Café. Das Centre Pompidou hat eine Außenstelle in Metz, warum nicht auch in Kleve? Nur am Rande, eine spannende Arbeit (Plight) von Beuys wird dort ausgestellt. Dieses Gebäude wurde von einem Politiker in Auftrag gegeben, von Georges Pompidou, dem zweiten Präsidenten Frankreichs. Einerseits trat er für soziale und kulturelle Traditionen ein, andererseits für wirtschaftliche und technische Modernisierung. Als Laie würde ich sagen, dass diese Partei der CDU ähnelt.

Einen solchen Besatz am Minoritenplatz mit zu integrieren, wäre fantastisch und würde Kleve weit über die Stadtgrenzen heraus heben. Sie, meine Damen und Herren, würden sich den Zuspruch der gesamten Bürgerschaft einhandeln. Am 16. Juli stand in der RP: Dass das erweiterte Museum ein voller Erfolg wird, glaubt auch der Bürgermeister: „Das wird nicht nur in Europa, sondern auch in der gesamten Welt Beachtung finden“. Ein Klever – Pompidou würde ebenso internationales Aufsehen erregen und Sie, meine Damen und Herren, würden dem Miteinander ein Denkmal setzten.

Aus dem Weissbuch Innenstadt (BMVBS) Kapitel „Innenstadt als Ort von Kultur, Baukultur und Stadtleben“: „Die Einrichtung von Infrastrukturangeboten und von kulturellen Anziehungspunkten vorzugsweise in zentral gelegenen Gebäuden sichert und belebt die Innenstadt.“

Und wer soll das bezahlen?
Dieses Totschlagargument ist leicht zu entkräften. Der Bund stellt Ländern und Gemeinden im Programmjahr 2012 wiederum 455 Mio. Euro für Stadtentwicklungsvorhaben zur Verfügung. Der Freundeskreis der Museen hat darüber hinaus vor Ort bewiesen, dass die Bürgerschaft zu enormen Leistungen im Stande ist.

Kommunikation ist alles
Die hier in Kleve spürbare Aufbruchsstimmung ist in beinahe allen Bereichen wahrzunehmen, diese Chance gibt es alle 100 Jahre nur einmal. Aus diesem Grund möchte ich Sie alle bitten und mit diesem Brief dazu anhalten, in ein breites Gespräch einzutreten. Den eines ist doch ganz offensichtlich, Wir alle wollen das Beste für Kleve!

Sehr geehrter Herr Brauer, sehr geehrte Damen und Herren; mein Vorschlag wäre demnach, zeitnah, z.B. in der Stadthalle, mit allen Architekten, Historikern, Vertretern der Kreishandwerkerschaft, KCN, Künstlern, heimischen Investoren, Schülersprechern und nicht zuletzt der Hochschule Rhein-Waal in einen solchen Dialog einzutreten. Die Hochschule Rhein-Waal beteiligt sich unter anderem an dem Programm „sustainable urban and regional development“. Was liegt näher, als dieses Know-how direkt, auf kurzmöglichsten Weg, in Kleve einfliessen zu lassen. Aus diesem Grund siedelt mann doch eine Hochschule in seiner Stadt an?

Wir sollten ergebnisoffen in ein konstruktives Gespräch kommen. Als Gesprächsgrundlage könnte das Ergebnis der Bürgerbefragung dienen. Die zu dieser Zeit erreichte (Wahl)Beteiligung würde jetzt sicher über 33,32% liegen.

Bürgerbefragung
4.6.2 Bürgerbefragung vom 7. Juni 2009 – Bürgerwille ist für die Stadt das Beste!
Dieser Leitgedanke hat zu dem Verfahren geführt, mit dem das langjährige Ringen um die beste Konzeption für die Entwicklung der Unterstadt Kleve zu einem erfolgreichen Abschluss gebracht werden soll.
Das Verfahren „Minoritenplatzbebauung und Rathaus“ hat drei überzeugende Varianten für die zukünftige Gestaltung und Nutzung des Bereichs der Wallgrabenzone und dem Spoykanal unter Einbeziehung des Rathausgrundstücks hervorgebracht.
(Originaltext aus dem Verwaltungsbericht der Stadt Kleve – Statistisches Jahrbuch – 2009 Kleve, im Februar 2011)

Ich habe diesen Text nachgeschrieben, um aufzuzeigen, dass es machmal hilfreich oder auch unumgänglich ist, einen Schritt zurückzutreten. Dieser Rückschritt ist kein Eingeständnis des Scheiterns, sondern zukunftsorientiertes Handeln. Unsere Bundeskanzlerin hat gezeigt, dass ein Einlenken, in diesem Fall die Energiewende, möglich ist. Ich betone dies, da knapp die Hälfte der Stadtverordneten hier in Kleve derselben Partei angehören.

Abschließend möchte ich alle Leser bitten, diesen Brief so zu verstehen, wie er gemeint ist. Als Dialog-Anregung, um im Herzen von Kleve eine Lebendigkeit zu kreieren, die die Zukunftsfähigkeit, besonders in Bezug auf die Hochschule, entscheidend prägen wird. Damit dies gelingt, müssen jetzt alle an einen Tisch. Der auf den Weg gebrachte Bürgerentscheid enthält leider auch die Möglichkeit, dass sich Bürgerschaft und Politik weiter voneinander entfernen. Das Letztere gilt es dringlichst zu verhindern.

Mit freundlichem Gruß
Max Knippert

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