Kleve schrumpft

Posted by: on Nov 9, 2014 | Keine Kommentare

Die Einwohnerzahl Kleves ist stabil und auch die unzähligen Baustellen können nicht darüber hinweg täuschen. Diese Stadt schrumpft!
Nichts macht dies Deutlicher als leerstehende Schulen!

Die Entwicklung der erwerbsfähigen Bevölkerung sinkt im Kreis Kleve zwischen 2011 – 2030 um 10,5 %. In wenigen Jahren werden vermutlich ganze Straßenzüge in Materborn leerstehen. Die Überalterung in Wohngebieten zeigt sich jetzt schon deutlich.

Was soll mit diesen Stadtquartieren passieren?

Aus diesem Grund ist die Umschreibung ‘zusammenziehen’ für Schrumpfung eine passende. Innerstädtische Verdichtung, kurze Wege nicht nur für kurze Beine. Die leeren Industrieareale wie XOX, Bensdorp und Margarine Union zeigen diese Entwicklung ebenso exemplarisch, wenn auch aus industrie geschichtlicher Perspektive. Postgebäude gibt es bald auch keine mehr und leerstehende Kirchen sind ebenso längst Realität geworden.

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Berlin – Postfuhramt an der Oranienburger Straße 1881

Das Postamt als Architekturform steht neben Kaufhaus und Bahnhof, Theater, Rathaus und Schule als Marke, als Wahrzeichen einer Stadt. Noch heute bilden in jeder Kleinstadt Kirche und Rathaus, Postamt und Bahnhof die dominierende Topografie, Zentrum und Tor zur weiten Welt zugleich. Die Bahn allerdings hat gerade in Kleinstädten die schönen Bahnhöfe meist schon geschlossen, sie verwahrlosen seitdem. Reißt man etwa die Kirchen ab, weil keiner mehr kommt?” (Christina Tilmann – Quelle)

Was bedeutet dies für unsere Stadt?

Auf jeden Fall werden sich einige Dinge ändern! Dies ist immer eine Chance die Zukunft (besser) zu gestalten. Diese sich stellende Aufgabe ist eine gesamtgesellschaftliche und der wichtigste Motor dafür Kreativität. Für Kulturschaffenden ist Kreativität die Grundvoraussetzung und sollte seitens der Planer als Ressource genutzt, eingefordert und wertgeschätzt werden.

An einem Beispiel möchte ich den stadtsoziologischen Umbau einer schrumpfenden Stadt kurz verdeutlichen.
In allen deutschen Städten “löst die Deutsche Post sich selbst auf, nach außen hin zumindest. Nicht mehr in einer Schalterhalle wird man seit einigen Jahren bedient, sondern zunehmend in einer Art erweitertem Schreibwarenladen mit Postschalter. Nur konsequent, diesen dann irgendwann ganz in den Supermarkt zu verlagern. Das nennt sich Dienstleistung und ist doch ein Identitätsverlust.

Was trauern wir ihr hinterher? Vielleicht, weil mit dem Amt auch ein Stück Stadtidentität verlorengeht? Die prächtigen Postämter, vom Volksmund Postpaläste geschimpft, die im Kaiserreich überall und vor allem auch in Berlin entstanden: Sie waren Repräsentation und Fortschritt gleichzeitig, Kommunkationszentrale und eine Landvermessung besonderer Art. Zwischen 1873 und 1910 entstanden vierhundert Postgebäude neu. Wilhelm II. forderte, dass ihm die Bauentwürfe bezüglich „Schönheit, Reinheit des Stils und Zweckmäßigkeit“ persönlich vorgelegt wurden.” (Christina Tilmann Quelle)

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Das VHS Gelände. Jetzt schon im Flächenpool!

Dieses durch die Deutsche Post initiierte Stück Architekturgeschichte ist somit Vergangenheit. Neuzeitliche Formensprache wird es aus dieser Baupraxis heraus nicht mehr geben. Das gleiche gilt für Bahnhofsgebäude. Der Klever Bahnhof von 1865 genau wie das Werksgebäude der Margarine-Union 1888 ist denkmalgeschützt und erhält somit die einstige Klever Architektur. Beide Klever Postgebäude sind leider alles andere als ansprechend und lediglich Funktionsgebäude. Was aus diesen Gebäuden wird ist offen. Die Stadt Kleve hat diese und weitere Standorte in den Flächenpool NRW zur Vermarktung und Überplanung gegeben.

1. Standort “XOX” – Priorität 1
2. Standort “Bensdorp” – Priorität 1
3. Standort “BEV Sportplatz” – Priorität 2

1. “BEV”, ehemaliger Sportplatz – Priorität 1
2. “Post”, aktuelles Postgelände am Bahnhofsplatz – Priorität 1
3. “VHS/ Alte Post” – Priorität 1
4. “Spedition”, Flutstraße – Priorität 1
5. “Pannier”, Ackerstraße – Priorität 2
6. “Schmetz” – Priorität 3
7. “Margarine Union” – Priorität 3

Die gewünschte Mobilisierung der untergenutzten Flächen ist sinnvoll, aber aus welchem Grund wird für diese Flächen nicht ein Städtebauliches Konzept erarbeitet. Hier vor Ort – in Kleve?

Aus dem Buch ‘Schrumpfende Städte‘: (Ein Initiativprojekt (2002-2008) der Kulturstiftung des Bundes unter der Leitung von Philipp Oswalt (Berlin) in Kooperation mit der Galerie für Zeitgenössische Kunst Leipzig, der Stiftung Bauhaus Dessau und der Zeitschrift Archplus.)

Städtebau hat sich in den letzten 200 Jahren nahezu ausschließlich mit Wachstumsprozessen befasst. Die Epoche der Moderne war von umgreifenden Wachstumsprozessen geprägt, und diese liegen ihren Vorstellungen und Handlungskonzepten, Theorien, Gesetzen und Praktiken zugrunde. So waren Kolonisierung, Stadtgründung, Baulandausweisungen, Neubaugebiete, Erschließung, Bauboom, Stadterweiterung und Dichte Schlüsselbegriffe der Stadtentwicklung der Moderne. Bauen wird bislang vorwiegend verstanden als Akt der Kolonisierung: der Erschließung und Überbauung neuer Gebiete. Doch nachdem die Industrieländer quasi vollständig urbanisiert sind und ihre Bewohnerschaft stagniert oder schrumpft, hat die Idee der Kolonisation ihre Legitimation verloren. Im „postkolonialen Zeitalter“ geht es eher darum, sich dem über einen langen Zeitraum akkumulierten Gebauten zuzuwenden. Es ist eine Umkehrung des Blicks: das Gebaute ist nicht Ziel, sondern Ausgangspunkt.

Postarchitektur umfasst die Aufgaben, die sich stellen, wenn die Architektur – das Gebaute – schon vorhanden ist. Was das Ergebnis einer herkömmlichen architektonischen Praxis ist, ist hier der Ausgangspunkt. Es geht etwa darum, wie das Gegebene wahrgenommen, genutzt, verändert oder entfernt werden kann. Zugleich müssen im Kontext der Schrumpfung müssen neue Antworten gefunden werden, wie Architektur entstehen kann. Dafür muss das engere Feld der Architektur verlassen werden, die Debatte repolitisiert werden. Es stellt sich die Frage: Wer baut mit welchen Mitteln wofür?

Präarchitektur befasst sich hingegen mit jenen Dingen, die einer architektonischen Praxis vorausgehen, diese überhaupt erst ermöglichen. Dazu gehört zunächst die Wunschproduktion, die Vorstellung von möglichen neuen Baulichkeiten und dem Erwecken des Interesses, diese zu realisieren. Pragmatisch gesprochen gehört zur Präarchitektur die Formierung von Nutzungen, Bauherren und Finanzierung. Die Notwendigkeit zur Entwicklung neuer „Werkzeuge“ des Planen und Bauens ist vergleichbar zur Situation der klassischen Moderne. Das „Neue Bauen“ der 1920er Jahre wäre undenkbar gewesen ohne die Entwicklung eines ganzen Arsenals an neuen Werkzeugen zur Realisierung von Städtebau und Architektur: Die Formierung der Kommunen und Genossenschaften als neue Bauherren, der Erfindung neuer Nutzungen und die Entwicklung innovativer Besteuerungs- und Finanzierungsmodelle war für das Entstehen der Architektur der Moderne ebenso essentiell wie die Erfindung neuer Baustoffe und Konstruktionsmethoden. In analoger Weise sind für die Gestaltung von Schrumpfungsprozessen neue Werkzeuge zu entwickeln, die überhaupt ein wirkungsvolles Intervenieren ermöglichen.

kagDas Beispiel des Konrad-Adenauer-Schulzentrum bedarf auch eines neuen Werkzeuges.
Der Kämmerer Herr Haas regt an “Man könnte vielleicht sogar auch einen Teilabriss verhindern, wenn andere Bereiche wie Volkshochschule, Bücherei oder Theater in den Gebäudekomplex verlegt würden.”. Aber derartigen städtebaulichen Wandel rein aus finanziellem Aspekt zu betrachten ist natürlich zu kurz gegriffen. Das Gebäude anders nutzten, ja. Aber gerade eine VHS, eine Bücherei oder ein Theater gehören ins Zentrum einer Stadt und nicht auf die grüne Wiese obwohl 2000 Meter zur Hochschule ein Argument sein könnten?

Es handelt sich in Kleve um derart große Flächen das hier in einem aller ersten Schritt der grundsätzliche Umgang damit disskutiert und erarbeitet werden muss. Alleine das „Gebäude und die Alte Post” ist ein enormer Eingriff in die Stadt. Auf der anderen Seite ist noch die Lutherschule die ebenfalls jetzt schon im Grund leersteht. Da können wir nicht überall Einkaufszentren und Wohnungen bauen. Das wäre nicht nur zu einfach sondern viel zu kurz gedacht!

In meinem mittlerweile etwas überholten Artikel KulturleitplanKE habe ich, wie andere auch, einen Kulturbeauftragten für Kleve beantragt, der seine Arbeit auf Basis eines Kulturentwicklungsplanes aufnimmt. Bis es soweit ist, brauchen wir aber nicht die Hände in den Schoß zu legen. Ausgesuchte Brachen oder untergenutzte Flächen könnten durch die Kreativen dieser Stadt ‘bespielt’ werden. Dies bezieht sich nicht ausschließlich auf Kulturschaffende oder Künstler sondern an jeden Kreativen Geist. Diese Kooperationen zwischen Kreativen und der Wirtschaft sowie der Verwaltung gibt es beispielsweise seit Jahren in Aachen. Die Wertschätzung wird durch einen EMA-Preis “Economy Meets Art” unterstrichen und werden an erfolgreiche Kooperationen, 2 Hauptpreise in Höhe von 10.000€ sowie ein Förderpreis in Höhe von 5.000€, zwischen Unternehmen & Künstlern vergeben.

DerARTige Wege sind zielführend und alles andere als ungewöhnlich. Es geht letztlich immer um die Ressourcen einer Stadt.
Das dabei auch Ergebnisse zu Tage treten werden die ungewöhnlich erscheinen, wird an einem Atombunker in Sevelen -Schweiz deutlich. Niemand hatte dafür einen Nutzungsvorschlag.

Frank und Patrik Riklin, vom Künstlerkollektiv Atelier für Sonderaufgaben hatte die Idee. Ein Null Sterne Hotel. Dieses Projekt hatte einen derartig durchschlagenden Erfolg das, dass 4000 Einwohner zählende Dorf seine Website mit einer Begrüßung auf Englisch ergänzt hat. (Quelle)

Bevor die Künstlerzwillinge Frank und Patrik Riklin das letzte Wort haben, möchte ich noch mal heraus stellen wie überaus wichtig qualitätsvolle Architektur und Stadtplanung ist. Der öffentliche Raum ist das Fenster zur Seele einer Stadt und die Gebäude ihre Organe. Das Blut und der Sauerstoff jedoch sind ihre Bewohner.

Wir hatten den Auftrag der Gemeinde Sevelen, ihre leerstehende Zivilschutzanlage nutzbar zu machen. Ich ziehe den Hut vor der mutigen Entscheidung, diese Aufgabe Künstlern zu übertragen. Wir sind ja überhaupt nicht kompetent in der Hotelbranche – und genau das ist der Schlüssel zu unserem Erfolg. Wir können die Dinge aus einer ganz anderen Perspektive analysieren.” Frank und Patrik Riklin

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