Der Tartini-Platz
Die Sonne ist im Meer untergegangen, klassischer Gesang füllt die kleine Altstadt um den ellipsenförmigen Platz in Piran. Nachdem der Gesang ausklingt und der Applaus in den seitlich einmündenden Gasse leise verhallt ist, hört man sie wieder, die Stimmen der Kinder und Jugendlichen, die Gespräche der Familien. Vor meinem offenen Fenster sehe ich die Menschen der Musik lauschen und in einer trägen Seligkeit den Abend feiern. Noch nie hat mich ein Platz in kürzerer Zeit berührt als dieser, der Tartini Platz in Slovenien.
Die Geigen rufen einen nur gadanklich ans Fenster, denn das Leben selbst hat alles erfasst. Ich blicke dennoch hinaus und es sind nicht die Menschen die einen Erwarten, es ist die Stadt selbst. Steingewordenes Leben in Jahrhunderten aufeinander gestapelt. Nicht glatt und glänzend, die Farbe durch Salz und Sonne aufgebrochen und durch rostiges Eisenwasser gefärbte Rinnen. Der Naturstein der Wege und Gassen ist durch unzählige Schritte derart geglättet, das selbst Schnecken auszurutschen drohen.
Wie sehr fühle ich mich hier heimisch, obwohl die Sprache mir keinen Zugang ermöglicht. Sind nicht sowieso die Gespräche überall gleich, wo Menschen sich begegnen? Letztlich ist es doch immer die gemeinsam verbrachte Zeit, die uns in lieb gewonnener Erinnerung bleibt. Es ist die Zeit und immer wieder die Zeit die uns Menschen zu Menschen macht. Sie sich für die Richtigen Anlässe nehmen und möglichst darauf verzichten, der Zeit ein ein Schnippchen schlagen zu wollen. Immer wenn das Tun durch Hast längst unnütz geworden ist, rächt sich dieses Tun mit Fehlerhaftigkeit und großer Belanglosigkeit. Sei es mit einem festen Hammerschlag auf die Finger oder durch einen enttäuschten Blick eines Menschen, der die eigene Hast natürlich längst bemerkt hat.
Gerade erkling eine asiatisch Stimme in Slovenien, an der Grenze zu Italien und Triest. Diese Stadt war bis zum ersten Weltkrieg der einzige Seehafen den Österreich je hatte.
Es sind wohl die Häfen und Küsten dieser Welt die uns Menschen in vergangen Zeiten einen Spiegel vorhielten. Heute reicht dazu ein Bahnhof oder eine Bushaltestelle. Die Fahrt über die Alpen war durch imposante und atemberaubende Bergwelten geprägt, auszusteigen kann mir dennoch kaum in den Sinn. Die menschlichen Welten wirkten jahrhundertgeprägt abgeschieden. Wie anders die Küste vor Triest. Ein der 5 größten europäischen Häfen überhaupt, aber das ist seit der Containerschiffahrt ein für allemal vorbei. Und da ist sie wider, die Zeit, dienend Menschen zu Menschen macht, aber auch die größten Herausforderungen bereitet, die wir uns noch nicht einmal ausdenken können.
Dieser Umstand kann zukunftsgerichtet Handeln ins Gegenteil verkehren. Nicht Neugier und Handel wird betrieben, sondern der Argwohn und die Sorge nehmen uns gefangen. Zeit brauch eben seine Zeit, und diese müssen wir uns nehmen. Insbesondere in unseren Tagen wo jede Geschichte, wenn sie für einige als erzählenswert gehalten wird, binnen Sekunden an jedem anderen Ort der Welt mitgeteilt ist.
Diese Musik…. sie trägt einen – obwohl jetzt gerade eine Tenore Stimme die Gläser zum zerreißen bringt. Die Gitarre schrabbelt und das mittlerweile dazu peitschende rhythmischen Geklatsche, kann es offenbar doch nicht lassen, mir klarzumachen, das es keinen Glück umsonst gibt. Darüber könnte ich jetzt nachdenken, aber es ist mir einfach egal.
Diese Stadt und sein Herz – der Tatini Platz. Er hat mich eingefangen, wie der Honig die Biene, das Licht die Mücke und so wie es jeder Prachtarsch es tut, der sich unter dem Stoff an den
Konturen abzeichnet. Irgendwie braucht es eine Fassung, sonst wackelt alles nur in der Gegend rum.
Dieser Platz passt so perfekt in unsere Zeit, das es mir einfach unerklärlich ist. Wie kann es sein, das dieser Ort eine solche Sogwirkung entfacht? Ich bin aus Kleve aufgebrochen und nach nur gut 10 Stunden war es eine Stadt hinter den Bergen. Weit weg, dies wird sich auch nicht dadurch ändern, das ich jetzt an sie denke – dafuur ist dieser Ort einfach zu stark. Städte wie Sienna oder Verona oder die hanseatischen Städte im Norden Deutschland oder Polen sind Meilensteine in der Geschichte der menschlichen Siedlung. Die Agora als Keimzelle für Raumgewordenes Bürgerrecht. Ohne einen zentralen Fest-, Versammlungs- und Marktplatz gibt es weder einen Staat noch Demokratie noch Gemeinschaft. Diese Errungenschaft ist jedoch kein Naturgesetz und muss sich immer wieder neu der Zeit stellen.
Manches fällt aus der Zeit und dieser Platz genau hinein.
Die gestrige Nacht haben wir nach einem wasserreichen Sonnenbad am Strand auf dem Tartini Platz verbracht. Giuseppe Tartini ( 1692 in Pirano bei Triest-1770 in Padua) war ein italienischer Violinist und wohl der, über die Grenzen von Piran hinaus, bekannteste Sohn der Stadt. Daran angelegt sind die klassischen Konzerte und Veranstaltungen im Zentrum der Elypsenartig eingefassten Platzes, und es ist so stimmig. Gestern wurden jedoch auch kurze Tänze aufgeführt, mal südamerikanisch inspiriert, mal europäisch baletthaft sowie experimentell und zwischendurch erklang immer wieder die Turmuhr, die gleich der Schwanenburg von oben herab der Zeit ihren Raum gibt. Die vollen Stunden in einem dunklen Klang und die viertel Stunden in einem wohlklingenden hellen pling geviertelt.
Das Jubiläum das dieses Jahr gefeiert wird, ist die Aufstellumg des Denkmals für Tartini und auch dies liegt bereits 120 Jahre zurück.
Der Belag des Platzes ist in zwei kontrastierenden istrischen Natursteinen verlegt und so wunderbar Glatt, das Kinder und Jugendliche mit Rollern, Skatbords, Fahrrädern, Rollschuhen, Elektro Skateboards, ferngesteuerten Autos umherflitzen und gleichzeitig verschienste Flugopjekte aller Art abschießen und abends alles in beleuchteter Version mit virtuell unzählige Pokémons kreuzen. Die sorglosen Eltern im Gespräch, beim Essen in den Kaffees oder auf den ringsherum bereitstehenden Natursteinbänken sitzen. Einmal auf langen geraden Bänken an den Häuserreihen oder im inneren Zirkel auf halbrunden Bänken zwischen Elypse und Schachbrettmuster. Ohne sich bewirten lassen zu müssen ist Jeder ein fester Bestandteil dieser allabendlichen Kulisse. Es gibt keinerleih Trennung, keinerlei formaler Distanz, Alle sind ein Stück vom Ganzen. Pars pro totto und die Summe ist weitaus mehr als die Anzahl ihrer Teile.
Gemeinschaft.
Dieser istrische Marmor ist sehr hell, aber nicht weiss wie Carrara sondern ein bisschen beige und ausgezeichnet kühl anmutend und robust.
Piran wurde zum ersten Mal im 7 oder 8 Jahrhundet erwähnt und der heutige Platz war einst ein Hafen für Fischerboote. 1894 schüttete man den Hafen zu und schuf einen Marktplatz auf dem zwischen 1909 und 1953 eine elektrische Eisenbahn fuhr und Piran mit der Umgebung verband. Genau diese Konzeption diente als Ausgangspunkt für das Projekt von Boris Podrecca. Er ist nicht nur ein bedeutender Architekt des öffentlichen Raumes und hat weiter Plätze in Italien und Österreich geschaffen, sondern verkörpert den klassischen Mitteleuropäer – ein Triestiner mit slowenischen Wurzeln, in Wien und Venedig studiert und ansässig. Als Gastprofessor war er unter anderem in Lausanne, London, Paris, Venedig, Wien und an der Harvard University in Boston-Cambridge. Boris Podrecca hat bisher ungefähr 30 öffentliche Räume gestaltet.
Aber die beste Nachricht ist – er lebt.
Ja die Zeit, mal lebt man und dann ist man ziemlich lange Tod, aber eines ist sicher; Stadtplanung machen wir nicht für uns selbst sondern für die Kinder unserer UrEnkel.
Am Minoritenplatz haben sich nach dem Krieg ausnahmslos alle Klever Anstrengungen verhoben und dies ist keine Schande sondern das genaue Gegenteil. Denn letztendlich haben es die gleichen Klever auch immer wieder erkannt und diesen Stadtraum erst sich selbst und dann der nächsten Generation übergeben bzw. hinterlassen. Und alle Anzeichen deuten daraufhin, das jetzt der Zeitpunkt gekommen ist den größten Stadtplanungsprozess Kleves, vermutlich seit 775 Jahren, zum Abschluss zu bringen. Das Konzept der Bücherei am Rathaus ist kein Mosaik sondern ein Meilenstein auf diesem Weg. Eckpunkte und eine Bücherei sind aber lediglich Zutaten die ohne eine Fassung in der Gegend rum liegen. Ein Dekolleté funktioniert auch nur im Miteinander, Haut und Hülle – Hülle und Fülle.
Der ehemalige Nordbahnhof ist eines der größten Stadtentwicklungsgebiete in Wien. Dort, zwischen Innenstadt und Donau-City, entsteht der neue Unternehmensstandort der Bank Austria. Mit Ökologischer Nachhaltigkeit wurde dieses Jahr ein Campus mit internationalem Format fertiggestellt. Sieger des zweistufigen Wettbewerbs war Architekt Boris Podrecca. Für die städtebaulichen Zutaten waren unter anderem, Urbanität und Landschaft, entscheidend sowie die architektonische Wirkung nach innen und außen, Funktionalität, Wirtschaftlichkeit sowie Energieeffizienz.
“Wichtig war es mit einer neuen Mitte Klarheit zu schaffen“, so der international renommierte Architekt und passionierte Mitteleuropäer Podrecca. Terrassierte Landschaften, zusammengehörende Innenhöfe organisieren die Arbeitswelt um den künftigen Freiraum: „Architektur ist lediglich ein Passepartout, eine Rahmenhandlung zwischen Natur und Stadt. Dadurch entsteht ein Mikroklima, eine Archi-Natur mit terrassierten Gärten und dem Boulevard – Symbol für Urbanität –, der zum Flanieren einlädt.“ Ruhe und Implosion: „So entsteht eine Stadtkonche, eine Art Topf.” (http://www.quer-magazin.at/home/nr.1-2012/94)
Es ist nicht naheliegend, sondern der Gedanke ist irgendwie schon zur Entscheidung gereift. Boris Podrecca wird Kleve kennen lernen, besser aber noch umgekehrt. Der Zeitpunkt hätte nicht besser sein können. Die Klever haben lange genug auf ein städtisches Zentrum warten müssen. Nach dem 20. September diesen Jahres muss erst eine Entscheidung getroffen und danach von jemanden in Form gebracht werden, der sich auf diese Aufgabe versteht. Vermutlich ist Prodecca einer der Besten überhaupt für diese Aufgabe?
Piran, wie alle alten und durch Krieg verschonten Städte, erzählen unaufhörlich Geschichten.
Wenn wir uns die Zeit nehmen, sind dies allesamt Kurzgeschichten die sich erst im Rückblick aneinanderreihen und einen Zusammenhang ergeben. Diese Schichtungen der Epochen zeigen sehr anschaulich, das es verschiedene Materialien und Formen gab, aber die Orte an denen Menschen zusammenkommen oder an denen sie sich ins Private zurückziehen überall die Pole darstellen, zwischen denen wir ein Lebenlang hin- und herpendeln. Diesen Bedürfnissen Raum zu geben sollte eigentlich nicht sehr schwer sein, aber in Kleve hat man dies, meiner Meinung nach, seit dem Krieg nicht mehr kultiviert. Diese Zeit sollte jetzt endlich ein Ende haben.
Die Diskussionen rund um die Unterstadt und insbesondere den Minoritenplatz haben gezeigt, das es ein großes Bedürfnis nach Bürgerschaftlicher Teilhabe an der Stadtplanung gibt. Dies auch nach der Rathausviertel Fertigstellung weiter zu führen ist eine identitätsstiftende Chance. Ein Gestaltungsbeirat ist da nur ein einziger Baustein. Regelmäßige Baukulturgespräche ein weiterer, aber letztlich steht und fällt alles mit dem Fachbereich 61 – Planen und Bauen.
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